Zwei Wölfe in mir

Ein alter Indianer saß mit seinem Enkelsohn am Lagerfeuer. Es war schon dunkel geworden und das Feuer knackte, während die Flammen in den Himmel züngelten.

Der Alte sagte nach einer Weile des Schweigens: „Weißt du, wie ich mich manchmal fühle? Es ist, als ob da zwei Wölfe in meinem Herzen miteinander kämpfen würden. Einer der beiden ist rachsüchtig, aggressiv und grausam. Der andere hingegen ist liebevoll, sanft und mitfühlend.“

„Welcher der beiden wird den Kampf um dein Herz gewinnen?“ fragte der Junge. „Der Wolf, den ich füttere“ antwortete der Alte.

Kommunikation ist Beziehungsgestaltung

Wenn es kriselt, versagt uns häufig die Sprache. Wir finden nicht mehr „die richtigen Worte“ oder wir befürchten, mit weiteren Handlungen und verbalen Botschaften noch größeren Schaden anzurichten. Nach jahrelangen zermürbenden Versuchen der Beziehungsreparatur landen Menschen dann oftmals in Hilflosigkeits- und Ohnmachtsgefühlen. Etwa so: Ich habe alles versucht. Egal was ich tue oder nicht tue, es ist immer falsch.

Jetzt bin ich am Ende. Ich tue nichts mehr, ich sage nichts mehr. Denn wenn ich jetzt „das Falsche“ sage, wird mein Partner noch wütender, oder meine Tochter entfernt sich noch weiter von mir. Diese Haltung kann zu fatalen Missverständnissen führen. Das Gegenüber deutet dieses Schweigen als Ignoranz oder Gleichgültigkeit. Das wiederum bestärkt gegenseitige bereits vorhandene Ängste und Befürchtungen bzgl. der Beziehung. Jeder erwartet, dass der Andere doch die Wünsche und Bedürfnisse erkennen bzw. bedienen müsse. Ein Teufelskreis aus Ohnmacht und Hilflosigkeit und gegenseitiger Erwartungshaltung an den Anderen. Die Kernfrage lautet: Wie finde ich die richtigen Worte, um auszudrücken, was ich will, ohne mein Gegenüber zu verletzen?

Die Antwort: Eine Beziehungskrise ist etwas ganz Alltägliches im Zusammen-Leben. Jede Beziehung ist nur so gut wie ihre Kommunikation.

Einzig und allein, wie wir über diese Krise denken, bestimmt, was wir daraus machen können.

Hilfreiche Einstellungen zur Auflösung einer Beziehungskrise können z. B. sein

  • Dies ist die Zuspitzung von gegenseitigen Bedürfnissen mindestens zweier Menschen.
  • Dies ist ein Übergangssignal in einen weiteren Lebensraum.
  • Dies ist die beste Zeit für einen Kurswechsel.

Projekt Giraffentraum® für Kitas, Kindergärten und Grundschulen

„Mama, wir haben eine Baby-Giraffe in unserer Gruppe!“

Mit diesen Worten begrüßt Lisa ihre Mama, als diese ihre Tochter am Montagmittag abholen will. „Sie ist allein, aber wir kümmern uns alle um sie.“ Die Erzieherinnen haben begonnen, das Projekt Giraffentraum® umzusetzen. Die Kinder lernen die nächsten 10 Tage zusammen mit der Baby-Giraffe die so genannte „Giraffensprache“ kennen.

Dabei geht es darum, sich aufrichtig auszudrücken, indem sie genau beschreiben, was sie gesehen haben, über ihre Gefühle und Bedürfnisse reden und schließlich konkrete Bitten äußern. In den folgenden Wochen vertieft das pädagogische Personal die Thematik im Hinblick auf Empathie und Perspektivenübernahme, Streitschlichtung und gelebte Demokratie im Kindergarten.   Giraffentraum® ist ein Projekt, das auf der Gewaltfreien Kommunikation von Marshall B. Rosenberg beruht. Ziel ist, wesentliche Basiskompetenzen und Förderschwerpunkte der Orientierungs-, Bildungs- und Erziehungspläne der Länder zu vermitteln: Das Selbst-Bewusstsein der Kinder zu stärken, vor allem für Stress- und Krisensituationen, die Fähigkeit zur Kommunikation und des sozialen Umgangs zu fördern und Möglichkeiten zur Konfliktfähigkeit zu vermitteln. Daneben zielt es darauf ab, Sprachkompetenzen und Einfühlungsvermögen zu fördern.

Das Projekt verfolgt dabei einen ganzheitlichen Ansatz: Das pädagogische Fachpersonal wird trainiert, um mit den Grundzügen der Gewaltfreien Kommunikation vertraut zu werden. Danach erfolgt die Umsetzung mit den Kindern, anhand eines vorgegebenen Leitfadens, den die Erzieherinnen und Pädagogen eigenständig durchführen. Parallel werden Elternkurse angeboten, um diese mit an Bord zu holen. Während die Gewaltfreie Kommunikation in den Kindergärten  und Schulen etabliert wird, begleiten Trainer das Team. Die Gewaltfreie Kommunikation hält Einzug in die Ausbildung für Kinderpflegerinnen, Erzieherinnen und Sozialpädagogen, Lehramtsstudierende, …

Viele, viele  Grundschulen und Kinderhorte haben bereits den Giraffentraum® in angepasster Form umgesetzt.  „Der Giraffentraum ist für mich das Schönste und Beste, was mir in meiner Giraffenwelt begegnet ist.“  (Bärbel Jung,  Giraffentraum®-Multiplikatorin)

Über die Gewaltfreie Kommunikation von Dr. M. B. Rosenberg

Wer fühlt, der lebt!

Dr. Marshall B. Rosenberg (in 2015 verstorben) war klinischer Psychologe und hat aufbauend auf der Lehre von C. Rogers das Modell der Gewaltfreien Kommunikation entwickelt. Er war Direktor des Center for Nonviolent Communication (Zentrum für Gewaltfreie Kommunikation), einer Organisation, die in verschiedenen Ländern Schulungen zu diesem Thema durchführt. 1934 als Sohn eines Arbeiters geboren, wuchs er als weißer Jude in einem schwarzen Getto in Detroit auf. 1943 erlebte er als Neunjähriger schwere Ausschreitungen bei den Rassenunruhen mit 30 Toten pro Monat in seiner nächsten Umgebung.

Diese frühe Erfahrung prägte ihn, doch finden sich in seiner Biografie ebenso Geschichten von Menschen, die ihre Bereitschaft, Bindungen mit anderen einzugehen, nicht verloren haben. Das Konzept der Gewaltfreien Kommunikation kann überall dort angewandt werden, wo Menschen eine Gemeinschaft bilden: zum Beispiel in Familien, Kindergärten, Schulen, in allen sozialen, psychiatrischen und pädagogischen Einrichtungen, Wirtschaftsunternehmen, Gefängnissen, … Beeindruckt hat M. B. Rosenberg das Tagebuch der holländischen Jüdin Etty Hillesum, die 1943 im Konzentrationslager Auschwitz gestorben ist. Es ist unter dem Titel „Das denkende Herz“ 1998 im Rowohlt-Verlag in deutscher Sprache erschienen. Nach der Lektüre schrieb M. B. Rosenberg: „Was gibt uns die Kraft, die Verbindung zu unserer einfühlsamen Natur aufrechtzuerhalten?“

Eine Antwort fand er bei Mahatma Ghandi, der davon sprach, dass „ein einfühlsames Wesen sich wieder entfaltet, wenn die Gewalt in seinem Herzen nachlässt“. In diesem Sinne also beginnt die Gewaltfreiheit im Herzen. Sie findet ihren Ausdruck in der Sprache und der Form der Kommunikation. Wer in der Lage ist, aufmerksam zuzuhören und sich seinem Gegenüber mit dem Herzen zuzuwenden, besitzt die Voraussetzung für eine Gewaltfreie Kommunikation.

Gewaltfreie Kommunikation (GFK) basiert auf vier Stützen:

1. BEOBACHTUNG
Ich schildere, was ich sehe oder höre, ohne Interpretation und ohne Wertung.

2. GEFÜHLE wahrnehmen
Meine echten Gefühle, die jetzt vorhanden sind, drücke ich aus, ohne zu beschuldigen oder zu kritisieren.

3. BEDÜRFNISSE wahrnehmen
Das Gefühl hilft mir oft, das zugrunde liegende Bedürfnis zu erkennen.

4. EINE BITTE richtig formulieren
Eine Bitte beinhaltet eine konkrete Aufgabe, die von meinem Gegenüber im Hier und Jetzt erfüllt werden kann.

Wenn man Verantwortung für sich selbst und seine Gefühle übernimmt, kann man zu einer inneren Haltung kommen, die einem erlaubt, frei zu handeln und die Botschaften des Gegenübers wirklich zu hören. Dabei ist es hilfreich, sich Folgendes zu vergegenwärtigen:

  • Hinter jedem Verhalten steht ein Bedürfnis, auch hinter sogenanntem „negativen“ Verhalten oder einem Verhalten, dass unverständlich bleibt.
  • Jedes Bedürfnis dient dem Leben.
  • Wir leben in befriedigenden Beziehungen, wenn wir unsere Bedürfnisse durch Zusammenarbeit statt durch aggressives Verhalten erfüllen.
  • JEDER Mensch hat bemerkenswerte Fähigkeiten, die uns erfahrbar werden, wenn wir durch Einfühlung mit ihm in Kontakt kommen.

Wenn Menschen merken, dass sie akzeptiert sind, brauchen sie nicht ihre Energie aufzuwenden, um sich zu verteidigen. Sie können dann beginnen, sich nach anderen Möglichkeiten zur Erfüllung ihrer Bedürfnisse umzusehen.

Durch die Gewaltfreie Kommunikation lernen wir zu verstehen, …

  • dass alles, was ein Mensch jemals tut, ein Versuch ist, Bedürfnisse zu erfüllen;
  • dass es für alle Beteiligten förderlich ist, Bedürfnisse durch Kooperation statt durch Konkurrenz zu erfüllen;
  • dass es allen Menschen grundsätzlich Freude bereitet, zum Wohlergehen anderer beizutragen, wenn sie das freiwillig tun können.

M. B. Rosenberg