Wer fühlt, der lebt!
Dr. Marshall B. Rosenberg (in 2015 verstorben) war klinischer Psychologe und hat aufbauend auf der Lehre von C. Rogers das Modell der Gewaltfreien Kommunikation entwickelt. Er war Direktor des Center for Nonviolent Communication (Zentrum für Gewaltfreie Kommunikation), einer Organisation, die in verschiedenen Ländern Schulungen zu diesem Thema durchführt. 1934 als Sohn eines Arbeiters geboren, wuchs er als weißer Jude in einem schwarzen Getto in Detroit auf. 1943 erlebte er als Neunjähriger schwere Ausschreitungen bei den Rassenunruhen mit 30 Toten pro Monat in seiner nächsten Umgebung.
Diese frühe Erfahrung prägte ihn, doch finden sich in seiner Biografie ebenso Geschichten von Menschen, die ihre Bereitschaft, Bindungen mit anderen einzugehen, nicht verloren haben. Das Konzept der Gewaltfreien Kommunikation kann überall dort angewandt werden, wo Menschen eine Gemeinschaft bilden: zum Beispiel in Familien, Kindergärten, Schulen, in allen sozialen, psychiatrischen und pädagogischen Einrichtungen, Wirtschaftsunternehmen, Gefängnissen, … Beeindruckt hat M. B. Rosenberg das Tagebuch der holländischen Jüdin Etty Hillesum, die 1943 im Konzentrationslager Auschwitz gestorben ist. Es ist unter dem Titel „Das denkende Herz“ 1998 im Rowohlt-Verlag in deutscher Sprache erschienen. Nach der Lektüre schrieb M. B. Rosenberg: „Was gibt uns die Kraft, die Verbindung zu unserer einfühlsamen Natur aufrechtzuerhalten?“
Eine Antwort fand er bei Mahatma Ghandi, der davon sprach, dass „ein einfühlsames Wesen sich wieder entfaltet, wenn die Gewalt in seinem Herzen nachlässt“. In diesem Sinne also beginnt die Gewaltfreiheit im Herzen. Sie findet ihren Ausdruck in der Sprache und der Form der Kommunikation. Wer in der Lage ist, aufmerksam zuzuhören und sich seinem Gegenüber mit dem Herzen zuzuwenden, besitzt die Voraussetzung für eine Gewaltfreie Kommunikation.
Gewaltfreie Kommunikation (GFK) basiert auf vier Stützen:
1. BEOBACHTUNG
Ich schildere, was ich sehe oder höre, ohne Interpretation und ohne Wertung.
2. GEFÜHLE wahrnehmen
Meine echten Gefühle, die jetzt vorhanden sind, drücke ich aus, ohne zu beschuldigen oder zu kritisieren.
3. BEDÜRFNISSE wahrnehmen
Das Gefühl hilft mir oft, das zugrunde liegende Bedürfnis zu erkennen.
4. EINE BITTE richtig formulieren
Eine Bitte beinhaltet eine konkrete Aufgabe, die von meinem Gegenüber im Hier und Jetzt erfüllt werden kann.
Wenn man Verantwortung für sich selbst und seine Gefühle übernimmt, kann man zu einer inneren Haltung kommen, die einem erlaubt, frei zu handeln und die Botschaften des Gegenübers wirklich zu hören. Dabei ist es hilfreich, sich Folgendes zu vergegenwärtigen:
- Hinter jedem Verhalten steht ein Bedürfnis, auch hinter sogenanntem „negativen“ Verhalten oder einem Verhalten, dass unverständlich bleibt.
- Jedes Bedürfnis dient dem Leben.
- Wir leben in befriedigenden Beziehungen, wenn wir unsere Bedürfnisse durch Zusammenarbeit statt durch aggressives Verhalten erfüllen.
- JEDER Mensch hat bemerkenswerte Fähigkeiten, die uns erfahrbar werden, wenn wir durch Einfühlung mit ihm in Kontakt kommen.
Wenn Menschen merken, dass sie akzeptiert sind, brauchen sie nicht ihre Energie aufzuwenden, um sich zu verteidigen. Sie können dann beginnen, sich nach anderen Möglichkeiten zur Erfüllung ihrer Bedürfnisse umzusehen.
Durch die Gewaltfreie Kommunikation lernen wir zu verstehen, …
- dass alles, was ein Mensch jemals tut, ein Versuch ist, Bedürfnisse zu erfüllen;
- dass es für alle Beteiligten förderlich ist, Bedürfnisse durch Kooperation statt durch Konkurrenz zu erfüllen;
- dass es allen Menschen grundsätzlich Freude bereitet, zum Wohlergehen anderer beizutragen, wenn sie das freiwillig tun können.
M. B. Rosenberg